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Grünes Gold

von Horst Hamm

Foto: Chamong Tea Export

Strauch an Strauch, Grün ohne Ende. Im fruchtbaren und 100 Kilometer breiten Tal des Brahmaputra reiht sich auf einer Länge von 800 Kilometern ein Teegarten an den anderen. Über 2.500 Teeproduzenten gibt es in Assam, darunter 850 große Teeplantagen. Camilla sinensis, wie der Teestrauch mit wissenschaftlichem Namen heißt, prägt die gesamte Region. Rund 600.000 festangestellte Pflückerinnen und Arbeiter und nochmals 400.000 Saisonkräfte produzierten 2020 rund die Hälfte der 1,25 Millionen Tonnen Tee in Indien.

Dabei stehen die Arbeitsbedingungen der Pflückerinnen immer wieder in der Kritik. Die Entwicklungsorganisation Oxfam kam 2019 mit Blick auf Assam zu dem Ergebnis: „Die Arbeiter*innen auf den Plantagen leiden unter Hungerlöhnen und giftigen Pestiziden und sind von den Plantageninhabern fast vollständig abhängig.“ Sie verdienen „weniger als die Hälfte dessen, was für ein menschenwürdiges Leben notwendig wäre, also einem existenzsichernden Lohn entspräche.“

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung kommt in einer Studie über die Teeregion Darjeeling, aus der die Teekampagne seit 1985 ihren Tee bezieht, zu vergleichbaren Ergebnissen. Sie spricht von „eklatanten Menschenrechtsverletzungen auf Teeplantagen“ und stellt fest: „Insgesamt zeigt die Untersuchung, dass die Teeproduktion für den Export nach Deutschland nicht dazu beiträgt, Armut und Armuts-verhältnisse auf den Plantagen zu überwinden. Wie auf vielen Plantagen weltweit sind auch auf den Teeplantagen Darjeelings Arbeitsbeziehungen im Stil des Kolonialismus zu beobachten.“

Deutliche Worte von Menschenrechtsvertretern. Die Frage ist nur: Sind Pestizide und Ausbeutung als bitterer Beigeschmack für eine gute Tasse Tee wirklich unvermeidbar? Oder gibt es Alternativen?

Mit Bio und Fairtrade zum Erfolgsmodell

Die Teekampagne versucht eine solche Alternative zu bieten – und hofft auf Nachahmer. Das Unternehmen ist 1985 angetreten, um an den Zuständen in den Teegärten Darjeelings etwas zu ändern, seit 2017 bezieht es auch Tee aus Assam. „Unser erklärtes Ziel war es, den Schadstoffeinsatz zu verringern“, erklärt Firmengründer Günter Faltin, „gleichzeitig wollten wir dazu beitragen, die soziale Situation in den Teegärten zu verbessern.“ Durch faire Preise sollten die Gartenbetreiber in die Lage versetzt werden, auch fair mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umzugehen.

„Bio“ war Mitte der achtziger Jahre in Darjeeling kein Thema, und Faltin wurde seinerzeit als Wirtschaftsprofessor belächelt, der vom Teehandel keine Ahnung habe. Weil er aber bereit war, den Plantagenbesitzern gute Preise zu bezahlen, kam er mit ihnen ins Geschäft. Zentrale Bedingung: die Betreiber mussten ihre Schadstoffe verringern und die soziale Situation der Angestellten verbessern.

Die nackten Fakten sprechen eine deutliche Sprache: Heute ist die Teekampagne weltweit die größte Importeurin von Darjeeling-Tee, größer noch als Teegigant Lipton. Die meisten Tees tragen seit 2010 das Bio- und seit 2020 das Fairtrade-Siegel, Ziel sind 100 Prozent. Mehr als die Hälfte aller Teegärten in Darjeeling haben auf ökologischen Landbau umgestellt, weil sie nur so in der Lage waren, die Schadstoffe kontinuierlich so zu verringern, wie dies die Teekampagne eingefordert hatte. Tendenz steigend. Die Teekampagne achtet zudem im Dialog mit den Teegartenbesitzern darauf, dass sich die Lebensbedingungen von Pflückerinnen verbessern.

Existenzsicherndes Auskommen garantiert

Möglich gemacht hat das ein besonderes Geschäftsmodell: Die Teekampagne kauft von Beginn an ihren Tee direkt von den Teegärten in Darjeeling. Einkäufer, Ex- und Importeure, Groß- und Einzelhändler hat sie ausgeschaltet. Den Tee selbst verkauft sie ausschließlich in Großverpackungen über den eigenen Online-Shop an ihre inzwischen über 200.000 Kunden. Noch heute ist die Ein-Kilo-Packung Standard. Das spart im Vergleich zu 100-Gramm-Tüten Verpackung, Etiketten, Rechnungen und Versandkosten.

Eine Ersparnis, die allen zugutekommt: Die Kunden in Deutschland bekommen einen hochwertigen Tee zu günstigem Preis. Und die Teegärten in Indien über 53 Prozent von dem, was die deutschen Abnehmer dafür bezahlen. Die gesamte Kalkulation einschließlich Gewinn macht die Teekampagne auf ihrer Website transparent: 34,50 Euro kosten ein Kilo First oder Second Flush, 18,36 Euro bekommt davon der Erzeuger in Indien. Das ist zweieinhalbmal so viel wie das, was die Rosa-Luxemburg-Stiftung in ihrer Studie feststellt: „Nur rund 30 Prozent vom Endpreis verbleiben in Indien, davon maximal 22 Prozent bei dem Unternehmen, das die Plantage betreibt.“

Tee aus Assam hat inzwischen das Sortiment erweitert, an den Unternehmensprinzipien jedoch nichts geändert. „Wir kaufen selbstverständlich auch dort unseren Tee direkt bei den Erzeugern“, sagt Geschäftsführer Thomas Räuchle. Möglich ist dies, weil die Chamong-Gruppe sowohl in Darjeeling als auch in Assam mehrere Teegärten betreibt und seit Jahrzehnten an die Teekampagne liefert. Die Teekampagne hat zwar keinen direkten Einfluss auf die sozialen Bedingungen der Arbeiter und Pflückerinnen in den Teegärten. Direkter Handel und faire Preise ermöglichen den Teegartenbetreibern allerdings, ihren Angestellten ein existenzsicherndes Auskommen zu gewährleisten. „Und wenn wir sehen, dass Dinge nicht gut laufen“, sagt Räuchle, „reden wir mit und schlagen unseren Partnern Verbesserungen vor.“

Was das bedeutet, lässt sich am Beispiel von Margaret Magdalli beschreiben. Die 46 Jahre alte Pflückerin ist seit 22 Jahren verheiratet und lebt mit ihrem Mann Francis und ihren drei Kindern in Purna Line, einem Dorf im Teegarten Tonganagoan im äußersten Osten Assams. Von dort bezieht die Teekampagne zwischen 20 und 40 Tonnen Second-Flush-Gartentee pro Jahr.

Um sieben Uhr morgens ertönt an allen Werktagen eine Sirene und gibt das Signal zum Arbeitsbeginn. Margaret Magdalli ist bereits auf dem Feld und beginnt sofort, die frischen Triebe von den Büschen pflücken – two leaves and a bud, wie der Teekenner sagt, zwei Blätter und die Knospe. Um 11.30 Uhr ertönt das Signal zur einstündigen Mittagspause, um 15.30 Uhr zum Feierabend. Das Ganze sechs Tage die Woche.

Schlechtes Wetter ist kein Hindernis, auch in den Sommermonaten oder während des Monsuns ist die Pflückerin draußen. Schirm, Plastikschürze und Gummistiefel gehören quasi zur Standardausrüstung. Die Arbeit ist schon in normalen Zeiten anstrengend, doch Covid-19 hat Indien und auch die Teeregionen des Landes schwer getroffen. Hunderttausende Menschen sind gestorben, zig Millionen haben sich infiziert.

Covid-19 macht alle zu Verlierern

Auch in den Teegärten hat das dramatische Auswirkungen: Die Pflückerinnen müssen auch im Freien und auf dem Feld Masken tragen, vor allem aber dürfen gleichzeitig nur halb so viele aufs Feld wie in normalen Zeiten. Die Tee-Industrie schickte sie deshalb im Sechs-Stunden-Schichtsystem und nacheinander aufs Feld. Kurzarbeitergeld wie in Deutschland gibt es in Indien allerdings nicht. „No work, no pay“, „keine Arbeit, kein Lohn“, bringt Ashok Lohia, der Chef des Familienunternehmens Chamong, die Situation seiner Angestellten während eines Zoom-Interviews auf den Punkt. Damit können in Tonganagaon in der Nebensaison alle frischen Blätter geerntet werden, nicht aber von Juli bis Oktober während der Hauptsaison.

So macht Corona alle Beteiligten zu Verlierern. Im vergangenen Jahr hat die Regionalregierung von Assam die Arbeit in den Teegärten sogar zweieinhalb Wochen komplett untersagt. Wie von der Regierung gefordert hat die Chamong-Gruppe in dieser Zeit ihren rund 10.000 Mitarbeitern in Darjeeling und Assam den vollen Lohn bezahlt.

Pflückerin Margaret Magdalli lebt in Purna Line, einem von zwölf Dörfern im Teegarten Tonganagaon in Assam. (Foto: Horst Hamm)
Wie Magdalli hat jede Familie in Tonganagon einen Wasserfilter bekommen und damit Zugang zu keimfreien Trinkwasser. (Foto: Horst Hamm)

Normalerweise muss Margaret Magdalli 24 Kilo Blätter am Tag pflücken, will sie die Mindestlohnmenge übertreffen – und das will sie wie praktisch jede Pflückerin. Arbeitszeiten, Löhne und Zulagen wurden von Gewerkschaften, Gartenbesitzern und der Regierung in Assam gemeinsam ausgehandelt und sind in allen Teegärten Assams streng geregelt und gleich: Unabhängig von ihrer Arbeitsleistung erhält Magdalli seit Februar 2021 einen Grundlohn von 205 Rupien am Tag, umgerechnet 2,59 Euro.

Bei einer Sechs-Tage-Woche ist das ein garantierter Basislohn von 60 Euro im Monat. Darüber hinaus erhält sie 12,35 Prozent, die ihr Arbeitgeber als Sparprogramm in den staatlich geregelten Public Provident Fund einzahlt und weitere 20 Prozent als Leistungszulage während der Haupterntemonate. Damit kommt sie auf einen Monatslohn von durchschnittlich 5600 Rupien, rund 63 Euro. Sie hat 20 Tage bezahlten Urlaub, Anspruch auf 14 Tage Krankengeld und sechs Monate Mutterschutz.

Sachleistungen ergänzen den niedrigen Lohn

Der Lohn ist niedrig und liegt auch unter dem in Indien vorgeschriebenen Mindestlohn. Aber diese Bezahlung ist nicht mit normalen Löhnen in Indien vergleichbar. Denn die Gartenbesitzer müssen neben dem reinen Lohn verschiedene Sachleistungen erbringen, die bereits 1951 im sogenannten „Plantagen Labour Act“ geregelt worden sind. So besitzen sie zwar alle Häuser in einem Teegarten, die müssen sie aber Arbeitern und Pflückerinnen kostenfrei zur Verfügung stellen. Für den Betrieb der Schulen und die medizinische Versorgung sind sie ebenfalls verantwortlich. „In Tonganagaon haben wir mehrere Schulgebäude und eine Krankenstation neu gebaut“, sagt Ashok Lohia. „Dort versorgen derzeit zwölf Ärzte und medizinische Mitarbeiter alle Menschen im Teegarten.“

Darüber hinaus erhalten die Angestellten kostenlos Brennholz, 26,4 Kilogramm Reis und Weizen pro Monat und ungefähr nochmals die Hälfte für jedes Kind und natürlich – Tee. Und weil zu jedem Haus 1.000 Quadratmeter Garten gehören, hält Margaret Magdalli hinterm Haus eine Kuh und ein paar Hühner und baut wie jede Familie Tomaten, Paprika und Bohnen an. Das ist auch notwendig, denn die Preise sind im Vergleich mit den Löhnen hoch: Ein Liter Milch kostet in Assam 60 Rupien (68 Cent), zehn Eier kommen auf 70 Ru-pien (79 Cent), genauso viel wie ein Dutzend Bananen. Huhn (300 Rupien) kommt nur auf den Tisch, wenn ein eigenes geschlachtet wird. „Ich bin sehr glücklich, hier arbeiten zu dürfen“, erzählt Magdalli. „Seit Herr Lohia 2008 den Teegarten übernommen hat, geht es uns viel besser. Wir bekommen unseren Lohn, unsere Essensrationen und alle anderen Sachleistungen pünktlich.“

Wie Magdalli hat jede Familie in Tonganagon einen Wasserfilter bekommen und damit Zugang zu keimfreien Trinkwasser. (Foto: Chamong Tea Export)

Ist das „harte Los der Pflückerinnen“ also doch nicht ganz so hart? „Doch“, sagt Claudia Brück, Vorstand bei Trans-Fair. „Ein grundsätzliches Problem ist die große Abhängigkeit der Pflückerinnen von ihrem Arbeitgeber, der eine ist vielleicht sozial eingestellt, der nächste achtet dafür nur auf den Profit – entscheidend ist aber, dass die Menschen sich kaum wehren können, weil sie sowohl Lohn, als auch Haus und Sachleistungen von ihrem Arbeitgeber erhalten und in allen Lebensbereichen abhängig sind. Das ist eine ungute Gemengelage. Und leider hat sich nur ein Bruchteil aller Teeproduzenten Fairtrade-Bedingungen verpflichtet.“

Das zeigt auch die Geschichte von Tonganagaon: Die Vorbesitzer hatten den Garten verwahrlosen lassen, die alte Teefabrik gleicht einer Ruine, das Dach droht einzustürzen. Ashok Lohia ließ keine 100 Meter entfernt eine neue Fabrik errichten, 16.000 neue Teebü-sche pflanzen und dazwischen lange Reihen mit Zitronengras anlegen, mit dessen Duft in Bio-Gärten die Rote Spinne vertrieben wird, eine Plage für Teebauern in ganz Indien. Gleichzeitig hat der Firmenchef ein Bauprogramm für die 6.000 Menschen im Teegarten initiiert, mit dem er stabile Backsteinhäuser anstelle der traditionellen Lehmhütten errichten lässt. Rund 5.700 Euro kostet ein Haus.

Regelmäßige Schulbesuche ermöglicht

Daran zeigt sich, dass die faire Bezahlung durch die Teekampagne auch bei den Angestellten ankommt. Bei 30 geplanten Neubauten im Jahr und zwölf Dörfern mit jeweils 80 bis 140 Gebäuden dauert es jedoch noch gut 35 Jahre bis das Programm abgeschlossen sein wird. „Als Firmenchef fühle ich mich meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verpflichtet und versuche ihre Lebensbedingungen zu verbessern“, sagt Ashok Lohia. Doch so denken nicht alle in den Chefetagen. Obwohl Assam das größte zusammenhängende Teegebiet der Welt ist, sind dort nur vier Teegärten mit dem Fairtrade-Siegel ausgezeichnet. Tonganagaon gehört seit 2011 dazu.

Selbst die Kinder, die oftmals kilometerweit zur Schule gehen müssen, profitieren direkt von der Teekampagne. Aus den Gewinnen mit Assam-Tee hat das Unternehmen einen Schulbus finanziert, der von der lokalen Organisation Seva Kendra der Diözese Dibrugarh betrieben wird. „Wir unterstützen damit 45 Jungen und Mädchen, regelmäßig in die Schule zu gehen“, sagt Pater Elias Lugun, der Leiter der Diözese.

Trotz dieser Entwicklungen: Bio- Tee und Fairtrade-Bedingungen sind in Assam noch eine große Ausnahme. Die Handarbeit ist drei- bis viermal so teuer wie die Giftspritze und kostet pro Hektar und Jahr 12 000 Rupien mehr, fast 700 Euro. Das sind umgerechnet auf ein Kilo Bio-Tee 65 Cent, rechnet Ashok Lohia vor. Wobei der um 25 Prozent geringere Ertrag, den der Bio-Anbau mit sich bringt, und die Mehrkosten für die Fairtrade-Zertifikation noch nicht einmal berücksichtigt sind. Es ist kein Luxusleben, was Kinder, Pflückerinnen und Arbeiter im Teegarten Tonganagaon führen, aber giftige Pestizide gibt es in diesem Bio-Garten nicht, und von „Hungerlöhnen“ kann auch nicht gesprochen werden. „Ich bin zufrieden“, sagt Pflückerin Margaret Magdalli. „Bei uns mangelt es weder an Kleidung, noch an Wohnraum oder Essen. Und wir können unseren Kindern eine Schulbildung ermöglichen.“

Das Prinzip Teekampagne

1985 hat der Ökonomieprofessor Günter Faltin die Teekampagne gegründet, um seinen Studentinnen und Studierende zu zeigen, dass eine bessere und intelligentere Art des Wirtschaftens möglich ist. Sein Ziel: Schadstoffe minimieren, soziale Bedingungen verbessern und gleichzeitig hochwer-tigen Tee anbieten. Sein Prinzip: Direktverkauf, Abschaffung unnützer Kleinverpackungen und faire Preise für die Erzeuger. „Bio“ und „Fairtrade“ zeichnen heute den Tee der Teekampagne aus. Kontakt und weitere Infos: teekampagne.de

Horst Hamm stieß schon in den achtziger Jahren auf die Teekampagne und verfolgt seither deren Tun. Die Gärten ihrer Partner in Darjeeling und Assam hat er vor der Corona-Pandemie besucht.

 

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